Donnerstag, 31. Mai 2018, Xinaliq (2100 m), Berg Quizilqaya (3726 m), 6.15 bis 17 Uhr, 12 bis 21 Grad, sonnig
Es ist schon hell als ich um 5.30 Uhr von meinem Zimmer einen Blick auf die schöne Hotelanlage Nazli Bulaq (Bild) werfe. Danach gibt es ein kurzes Frühstück und ab 6 Uhr stehen unsere Chauffeure bereit, die uns in etwas ramponierten, aber vierradgetriebenen Ladas zum Fuße des Berges Quizilqaya bringen werden. Auf einer schmalen Teerstraße fahren wir zunächst durch dichte Wälder und enge Schluchten (Bild). Als wir das Tal hinter uns lassen, liegt eine weite grüne Hochebene (Bild) vor uns. Am Eingangstor zum Schahdag-Nationalpark (Bild) erwartet uns ein Ranger und wir melden uns an. Das dauert ein bisschen und so ist Zeit, eine singende Grauammer (Bild) zu beobachten. Unweit davon entdecken wir die südöstliche Unterart des Hausrotschwanzes (Bild), der für uns Europäer eher wie ein Gartenrotschwanz aussieht. Mein Blick schweift zu dem malerisch gelegenen Bergdorf Xinaliq (Bilder), in dem ca. 2000 Einwohner in ihren terrassenförmig angeordneten Häusern leben. Es liegt auf 2100 Meter und ist das höchstgelegene Dorf Aserbaidschans. Auf der Rückreise werden wir noch Zeit haben, es uns genauer anzusehen. Aber jetzt wollen wir zum Berg Quizilqaya, der bald schon in voller Pracht vor uns auftaucht. In unseren Autos werden wir während der Fahrt über Schotterstraßen und schmale, buckelige Hänge ordentlich durchgeschüttelt. Aber wir kommen sicher am Fuß des Berges (Bild) an. Vor uns erheben sich die steilen Wände des 3726 Meter hohen Quizilqaya (Bilder) und gegenüber sind die schneebedeckten Berge des Großen Kaukasus (Bilder) zu sehen. Was für ein grandioser Ausblick!
Es ist mittlerweile 8.30 Uhr und während wir uns auf den Aufstieg vorbereiten, bleibt etwas Zeit, die grünen Hänge nach Vögeln abzusuchen. Ein Steinschmätzer (Bild) und Schneesperlinge (einer davon auf dem Bild) tummeln sich in nächster Nähe. Der Schneesperling brütet im Gebirge und hält sich in Höhen von 1900 bis 3100 Metern auf. Auch der Lebensraum der Ohrenlerche liegt oberhalb der Baumgrenze. In der nördlichen Türkei und im Kaukasus lebt eine Unterart der Ohrenlerche, Eremophila alpestris penicillata (Bilder). Die Grundfärbung des Kopfes ist weiß statt gelblich. Die Kehle ist ebenfalls weiß und die schwarze Kopfzeichnung verbindet sich mit dem schwarzen Brustfleck, sodass es wie ein Rahmen um die Kehle aussieht. Und dann gleitet mal eben ein Gänsegeier (Bild) über uns hinweg.
Die nächsten viereinhalb Stunden verbringen wir am Fuße der schroffen, steinigen Südflanke des Quizilqayas (Bilder). Wir halten Ausschau nach dem Kaukasuskönigshuhn, einer Art, die nur im Großen Kaukasus vorkommt. Ein Steinadler (Bilder) taucht in der Ferne auf, kommt näher und fliegt auf der Suche nach Nahrung vor dem Bergmassiv entlang. Wenn sich der Steinadler nähert, erklärt uns Michael, werden die Kaukasuskönigshühner nervös. Und aus einer der Felswände ertönen dann auch langgezogene, ansteigende Pfeiflaute (Tonbeispiel > xeno.canto.org). Es ist das Kaukasuskönigshuhn (Illustration von Martinov A.N. [Public domain], via Wikimedia Commons)! Die zu den Glattfußhühnern gehörende Art lebt an steilen, felsigen Hängen in Höhen zwischen 2000 und 4000 Meter. Das Kaukasuskönigshuhn ist scheu, unnahbar und fliegt früh auf. Außerhalb der Brutzeit ist es gesellig und in kleinen Trupps unterwegs. Zu Gesicht haben wir es nicht bekommen, aber doch einige Male gehört. Der nächste Hochgebirgsvogel, den wir hoffen zu finden, ist der sehr seltene Riesenrotschwanz (Bilder) (Illustration von John Gould [Public domain], via Wikimedia Commons). Er lebt in den hohen Lagen Zentralasiens auf felsigen Matten mit spärlicher Vegetation. Im Sommer ist er in einer Höhe von 2200 bis 5000 Meter anzutreffen. Im Winter zieht er in die Täler auf bis zu 1500 Meter, manchmal auch 900 Meter. Das Männchen mit seinem unverwechselbaren Prachtkleid hat ungefähr die Größe eines Baumpiepers. Michael entdeckt ihn, aber nach nur wenigen Minuten ist er wieder verschwunden.
Als wir gegen 13 Uhr zu den Autos absteigen, haben wir erneut diese phantastische Aussicht mit Frühlingswiese und schneebedeckten Bergen vor uns. Und das Tollste kommt erst noch: Unsere Fahrer haben in der Zwischenzeit für uns gekocht. Während wir heißen Tee, Hähnchen, Salat, Käse und Brot genießen, fliegt mal eben ein Bartgeier (Bild) vorbei.
Bei einem Halt während der Fahrt zurück nach Xinaliq finden wir ein Braunkehlchen (Bild) und einen kaukasischen Berghänfling brevirostris (Bild) auf einer Wiese. Letztere Unterart besiedelt Teile von Vorder- und Zentralasien. Um 15 Uhr kommen wir in Xinaliq an. Einige Dorfbewohner stehen auf der Straße und beäugen uns neugierig. Michael kann sich auf Russisch mit ihnen verständigen. Kinder bringen dicke, warme Socken, die vermutlich ihre Mama gestrickt hat. Ich kann nicht widerstehen und kaufe mir ein Paar. Wir wandern durch das Dorf. Früher wurde hier Baumaterial aus Kuhdung und Stroh zum Hausbau gefertigt. Mittlerweile sieht man auch Dächer aus Wellblech. Es gibt ein Heimatmuseum und eine große Schule. Um 16 Uhr starten wir die Reise zurück ins Hotel und queren wieder das schöne weite Tal (Bild). Unser Blick schweift auch während der Fahrt immer wieder nach oben und plötzlich ruft Markus, der im Wagen vorne sitzt: Gänsegeier, eins, zwei, drei … Auch die anderen haben sie entdeckt und die Fahrer halten an. Als wir aussteigen – es ist unfassbar –, kreisen über uns an die 30 Gänsegeier (Bilder). Von einer kleinen Anhöhe aus, auf der – zufällig oder nicht – auch eine Gedenkstätte mit einer Greifvogelskulptur errichtet ist, können wir das Spektaktel bewundern. Die Gänsegeier fliegen manchmal so nah über unsere Köpfe hinweg, dass wir deutlich die gefüllten Kröpfe erkennen können. Wo in dem kargen, unbesiedelten Gebirge haben sie gefressen? Über eine halbe Stunde stehen wir an dem luftigen Platz und sind begeistert. Immer wieder formieren sich die Geier neu in kleinen Gruppen. Für mich ist das eines der eindrucksvollsten Erlebnisse dieser Reise und meiner gesamten Orni-Laufbahn. Auch ein Bartgeier (Bild) gesellt sich dann noch dazu. Zum Abschluss der heutigen Tour legen wir einen letzten Halt in einer imposanten Schlucht (Bilder) ein.
Vogeltagesliste: Kaukasuskönigshuhn (Rufe)*, Gänsegeier (6+30), Bartgeier, Steinadler (ca. 6), Steinschmätzer (25), Hausrotschwanz ochruros, Sperber, Mauersegler, Mehlschwalbe, Ohrenlerche penicillata*, Bachstelze, Heckenbraunelle, Riesenrotschwanz*, Braunkehlchen, Amsel, Neuntöter, Alpenkrähe, Alpendohle, Schneesperling (20), Berghänfling brevirostris*, Karmingimpel, Ortolan, Alpenbraunelle, Grauammer, Bergpieper
(* = meine persönliche Erstsichtung)