Heute gelingt es mir endlich, den Stieglitz mit dem verlorenen Fuß zu fotografieren. Eigentlich nennt man Bein und Fuß eines Vogels Lauf oder Tarsus, an dessen Ende die Zehen und Krallen sitzen. Ich ziehe aber die »vermenschlichten« Begriffe vor. Im Frühjahr hatte sich der Stieglitz bereits an meiner Futterstelle mit einer Verletzung am Fuß eingefunden. Der gesamte Zehen- und Krallenbereich war dick und geschwollen. Im Oktober habe ich ihn erneut kurz gesehen, da war der Fuß schon nicht mehr vorhanden.
Nun, Ende November, ist der Stieglitz mit nur einem Fuß (Bilder) wieder an meiner Futtersäule aufgetaucht. Meistens fliegen um die zehn, manchmal auch mehr Distelfinken, wie die Stieglitze auch genannt werden, auf meinem Balkon ein. Es ist gar nicht so leicht, den Verletzten unter seinen Artgenossen auszumachen. Da meine Futtervorrichtungen nicht für alle ausreichen, ist der Futterneid unter den Vögeln groß. Also wird gezetert und versucht, die Konkurrenten mit dem Schnabel zu vertreiben. In kurzen Abständen werden die Plätze getauscht – selten freiwillig. Ein Schauspiel an Ruhelosigkeit und Hektik! Der fußlose Stieglitz ist aber fit, er wirkt weder kränklich noch erschöpft und erkämpft sich immer wieder einen Platz bei den Sonnenblumenkernen. In einer kleinen Filmsequenz (Video > Youtube) sieht man, dass er viel mit den Flügeln schlagen muss, um sich auf dem kleinen Stab, der leider nicht fest verankert ist, halten zu können. Auch bei den Sitzplätzen auf den Zweigen muss er vermehrt seine Flügel einsetzen, um das Gleichgewicht bewahren zu können.
PS: Beim Sichten alter Stieglitzbilder vom Juni 2017 habe ich eines gefunden, auf dem ein anderer fußloser Stieglitz zu sehen ist. Bei diesem fehlt der linke Fuß. Bei dem hier Beschriebenen fehlt der rechte Fuß. Ich habe also zwei fußlose Stieglitze zu Gast!
